Bildungsmaterialien für eine sozial-ökologische Transformation
  • Wirtschaftswachstum

    Im Hinterzimmer

    Eine Analyse von Wirtschaftslobbyismus und Machtverhältnissen

    95 min
    5-20

    Im Hinterzimmer

    Die TN beschäftigen sich durch ein Fallbeispiel spielerisch mit dem Thema Lobbyismus.

  • Im Hinterzimmer

    Format: Diskussion, Gruppenarbeit

    Barrieren: Hören, Komplexität, Motorik, Sehen

    Material: Beamer, Flipchart, 1 Kleiderbügel, 1 Krawatte, Schnur, Schere, Moderationskarten, Marker Arbeitsmaterial zum Download: Arbeitstext Autoindustrie, Aufruf der Abgeordneten, Schema zu Lobbyismus, Visualisierung Kleiderbügel-Waage

    Zugänglichkeit: niedrigschwellig

    Kurzbeschreibung

    Die TN beschäftigen sich durch ein Fallbeispiel mit dem Thema Lobbyismus. Spielerisch werden die Durchsetzungsmöglichkeiten verschiedener Interessengruppen gegeneinander abgewogen.

    Lernziele

    Die Teilnehmenden (TN)

    • erkennen, dass es bei jeder politischen Entscheidung verschiedene betroffene Interessengruppen gibt, die versuchen, die Entscheidung in ihrem Sinn zu beeinflussen.
    • erkennen, dass die Einflussmöglichkeiten zwischen unterschiedlichen Interessengruppen ungleich verteilt sind.
    • analysieren, welche Mittel und Wege Lobbyisten nutzen können, um ihre Interessen durchzusetzen.
    • können die positiven und negativen Effekte von Lobbyismus für eine demokratische Gesellschaft bewerten und entwickeln Strategien zur Abschwächung der negativen Auswirkungen.

    Ablauf

    Hintergrund

    Im Sommer 2010 veröffentlichte eine Gruppe von zunächst 22 europäischen Parlamentsabgeordneten einen Aufruf zur zivilgesellschaftlichen Überwachung der Finanzmärkte. Dieser Aufruf stellte sowohl einen Hilferuf als auch eine Warnung dar: Diese Abgeordneten waren seit der Finanzkrise mit immer mehr technischen Gesetzen zur Regulierung der Finanzmärkte beschäftigt und wurden in dieser Funktion mit Kontaktanfragen von Vertreter*innen der Finanzindustrie geradezu überschwemmt. Auf der anderen Seite fehlte eine gut informierte zivilgesellschaftliche Kraft, die ein Gegengewicht zur Position der Finanzindustrie hätte einnehmen können. Innerhalb dieser parteiübergreifenden Gruppe von Abgeordneten wuchs deshalb die Besorgnis, dass eine Unausgewogenheit der Lobbys auf dem Gebiet der Finanzmärkte zu undemokratischen Ergebnissen führen könnte. Der Aufruf fand hohen Anklang und

    Unterstützung in Brüssel und darüber hinaus. In den darauffolgenden fünf Monaten unterzeichneten ihn mehr als 160 Abgeordnete und gewählte Repräsentant*innen aus einer Vielzahl verschiedener Parteien und EU-Mitgliedstaaten. Im April 2011 wurde als weitere Konsequenz die unabhängige Organisation „Finance Watch“ gegründet, die nun die Stimme der Gesellschaft bei Reformen des Finanzmarktes vertreten soll (vgl. www.finance-watch.org/ueber-uns/warum-finance-watch). Dieser Aufruf ist der Ausgangspunkt, von dem aus die Rolle von Lobbyismus, also der Vertretung mächtiger Interessengruppen analysiert und verständlich gemacht werden soll. Am Ende stehen die Fragen, welche Rolle Lobbyismus für das Voranbringen oder Verhindern gesellschaftlichen Wandels spielt und welche Möglichkeiten der Einflussnahme wir als Zivilgesellschaft haben.

    Vorbereitung

    Der Aufruf und der Arbeitstext sollen in ausreichender Anzahl ausgedruckt zur Verfügung stehen. Der Beamer wird aufgebaut. Im Raum wird ein Kleiderbügel mit einer Krawatte oder einer Fliege angebracht. An beiden Seiten des Bügels werden Schnüre befestigt, an denen später mit Wäscheklammern die beschrifteten Moderationskarten aufgehängt werden (siehe Visualisierung).

    Ablauf

    1. (5 Minuten) Aufruf vorlesen

    Zunächst wird der „Aufruf europäischer Abgeordneter zur zivilgesellschaftlichen Überwachung der Finanzmärkte“ für alle vorgelesen. Das Vorlesen kann ein wenig in Szene gesetzt werden, um die Brisanz des Textes hervorzuheben. Anschließend werden Verständnisfragen geklärt.

    2. (5 Minuten) Begriffserklärung

    Dann wird anhand des Schemas zu Lobbyismus (Arbeitsmaterial) der Begriff „Lobbyismus“ geklärt. Die Powerpoint-Folie ist für die Präsentation so animiert, dass das Schema nach und nach entwickelt werden kann: Es werden zunächst die Funktionen von Lobbyismus für den Austausch zwischen Politik und Interessenverbänden beleuchtet. Dann werden anhand der Mittel, die Interessengruppen zur Erreichung ihrer Ziele einsetzen, zwischen Lobbyismus im „engen“ und „weiten“ Sinn unterschieden. Lobbyismus im „engen“ Sinn umfasst die Einflussnahme über bezahlte Lobbyisten, die in den „Vorhallen der Parlamente“ (= Lobby) Einfluss auf Entscheidungs-träger*innen nehmen. Zu Lobbyismus im „weiten“ Sinn zählt dagegen auch Interessenpolitik über die Öffentlichkeit, insbesondere über die Medien.

    3. (15 Minuten) Funktionen von Lobbyismus

    In einer anschließenden kurzen Diskussionsrunde tragen die TN erste positive und negative Aspekte von Lobbyismus zusammen. Auf der einen Hälfte des Flipcharts werden zunächst noch einmal die definierten Funktionen von Lobbyismus in Erinnerung gerufen und ggf. ausdifferenziert, auf der anderen Hälfte werden kritische Punkte gesammelt:

    >Warum gibt es Lobbyismus? Welche Funktion erfüllt er für politische Entscheidungsträger*innen > Welche Probleme sind damit für eine demokratische Gesellschaft verbunden?

    4. (15-20 Minuten) Textarbeit in Gruppen

    Im nächsten Schritt werden anhand eines konkreten Beispiels – der Automobilindustrie – die Möglichkeiten von Konzernen untersucht, Einfluss auf Politikentscheidungen zu nehmen. Zunächst werden die TN in drei Gruppen eingeteilt – in die „Autolobbyisten“, die „Umweltlobbyisten“ und die „Regierung“. Alle Mitglieder der drei Gruppen erhalten und lesen anschließend den Arbeitstext „Die Autoindustrie und die Regelung der Pkw-Effizienzlabel“ (siehe Arbeitsmaterial). Dann filtern die „Autolobbyisten“ heraus, wie „die Autoindustrie“ im Fallbeispiel vorgegangen ist, um ihre Interessen durchzusetzen. Die „Umweltlobbyisten“ tun das Gleiche für die Aktivitäten der Umweltverbände. Die „Regierung“ sammelt im Text alle Informationen über das Verhalten der Regierung bzw. der öffentlichen Institutionen. Die Gruppen fassen ihre Ergebnisse zusammen und halten sie auf Moderationskarten fest.

    5. (25 Minuten) Zusammentragen an der „Waage“

    Dann werden die Ergebnisse im Plenum zusammengetragen. Dafür wird die vorbereitete Kleiderbügel-Waage (siehe Visualisierung im Arbeitsmaterial) in die Mitte gehängt. Jetzt befestigen zunächst die „Autolobbyisten“ und dann die „Umweltlobbyisten“ ihre Moderationskarten mit Wäscheklammern an der Waage. Zuletzt werden die Karten der „Regierung“ neben die Waage an die Wand gehängt oder auf den Boden gelegt. Anschließend können weitere Formen von Lobbyismus, die den TN bekannt sind, ergänzt werden.

    6. (10 Minuten) Diskussion

    Dann wird das Fallbeispiel anhand folgender Fragen diskutiert:

    > Wie unterscheiden sich die Mittel, die den beiden gegenüberstehenden Akteuren zur Verfügung stehen?

    > Welche Mittel haltet ihr für besonders wichtig für eine erfolgreiche Interessenvertretung?

    > Welche Rolle spielen finanzielle Mittel? Welche Rolle spielt die Öffentlichkeit?

    > Wie könnte man Ungleichgewichte stärker ausbalancieren, bei denen „mächtige“ Akteure z. B. aus der Wirtschaft begünstigt sind? Wie könnten benachteiligte Gruppen einen besseren Zugang erlangen?

    7. (15 Minuten) Auswertung

    Die Auswertung soll dazu anregen, dass die TN einen persönlichen Bezug zwischen sich und dem Thema herstellen und Handlungsperspektiven erkennen. Die Auswertung kann anhand folgender Fragen erfolgen:

    > Was hat euch überrascht? Was war für euch neu im Hinblick auf die Funktionsweisen von Lobbyismus?

    > Durch welche Interessengruppen fühlt ihr euch repräsentiert? Warum (nicht)?

    > Welche Möglichkeiten haben wir selbst, unsere Interessen durchzusetzen?

    > Welche Rolle spielt Lobbyismus für gesellschaftlichen Wandel bzw. dessen Verhinderung

    Varianten

    Bei fortgeschrittenen Gruppen kann die Lobbyismus-Definition auch über ein Zurufgespräch gemeinsam erarbeitet werden.

    Tipps und Hinweise für Anleitende

    Bei jüngeren Gruppen ist es möglich, dass die TN bei der Auswertung Schwierigkeiten haben, vom konkreten Fallbeispiel zu abstrahieren und die Vielfalt der eingesetzten Mittel zu verstehen. Deshalb kann es hilfreich sein, bekannte Mittel von Lobbyist*innen vorher zu benennen oder von den TN über Zuruf zu sammeln, z. B. Materielle Unterstützung/Geld, persönliche Beziehungen, Bereitstellung von Informationen, Beratungsangebote, Drohen mit negativen Konsequenzen, Öffentlichkeitsarbeit … Für eine allgemeine Einführung in das Thema Lobbyismus zur Vorbereitung für Anleitende eignet sich: Bundeszentrale für politische Bildung (2006): Verbände und Lobbyismus, online verfügbar unter: www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/29791/verbaende-und-lobbyismus. Eine klar Wirtschaftslobby-kritische Perspektive findet sich in Veröffentlichungen von LobbyControl, z. B. Der Lobbyreport 2013, online verfügbar unter: www.lobbycontrol.de/wp-content/uploads/Lobbyreport2013.pdf

    Möglichkeiten zur Weiterarbeit

    Zur Weiterarbeit zum Thema Lobbyismus eignen sich die Forderungen von Transparency International – Deutschland (Hg.): Lobbying in Deutschland erkennen. Berlin 2014, S. 5. Online verfügbar unter: www.lobbycontrol.de/wp-content/uploads/Lobbying_in_Deutschland_2014.pdf Wenn weitere eigene Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt werden sollen, eignet sich die Methode „Eine andere Welt im Bau 2.0“ (Grundlagen). Zur Weiterarbeit zu verschiedenen Ebenen und Akteuren gesellschaftlichen Wandels empfehlen wir die Methode „Wer macht den Wandel?“ (Methodenheft „Endlich Wachstum!“, Kapitel 5).

    Die TN beschäftigen sich anhand eines Begriffsschemas und eines konkreten Fallbeispiels mit dem Thema Lobbyismus. Mithilfe einer symbolischen Waage werden die Möglichkeiten unterschiedlicher Interessengruppen, ihre jeweiligen Interessen durchzusetzen, gegeneinander abgewogen.