Bildungsmaterialien für eine sozial-ökologische Transformation
  • Digitalisierung

    Endlich im Netz?

    Perspektiven auf kostenfreien Netzzugang im Globalen Süden

    60 min
    4-20

    Endlich im Netz?

    Die Teilnehmenden diskutieren die Aussage »Jede*r hat das Recht auf freies Internet« und beschäftigen sich dann in Gruppen mit Zitaten zur Facebook-App…

  • Endlich im Netz?

    Format: Diskussion

    Barrieren: Bewegung, Komplexität, Lesen, Schreiben, Sehen

    Material: Ausgedruckte Zitate und Infotexte, zwei Flipchartbögen und Stifte

    Zugänglichkeit: niedrigschwellig

    Kurzbeschreibung

    Die Teilnehmenden diskutieren die Aussage »Jede*r hat das Recht auf freies Internet« und beschäftigen sich dann in Gruppen mit Zitaten zur Facebook-App »Free Basics«.

    Lernziele

    Die Teilnehmenden …

    • erkennen und reflektieren anhand eines konkreten Beispiels den Zusammenhang zwischen dem Einsatz digitaler Technik und globalen Machtverhältnissen.
    • lernen zentrale Argumente in der Debatte um »digitalen Kolonialismus« kennen und wenden diese auf Angebote kostenfreien Internetzugangs an.
    • reflektieren die Rolle großer Tech-Konzerne und Profitorientierung in diesem Kontext.

    Ablauf

    Vorbereitung
    Die Zitate werden ausgewählt und in entsprechender Anzahl ausgedruckt (in Kleingruppen à vier Personen erhalten immer drei Personen ein Zitat aus der Auswahl an Zitaten »kritisch gegenüber Free Basics« und eine Person ein Zitat von Facebook selbst). Flipchart und Stifte werden bereit gelegt.
    Für die Anleitenden empfehlen wir, als Hintergrund das Infoblatt zu lesen und bereit zu halten.

    Durchführung

    1. (20 Minuten) Positionierung: »Jede*r hat das Recht auf freies Internet«

    Wie in der Methode »Jede*r hat das Recht auf ein Smartphone?« werden die Teilnehmenden im ersten Schritt eingeladen, sich zu der Aussage auf einer Skala im Raum zu positionieren. Ein Pol ist beschrieben mit der Aussage: »Ich stimme vollkommen zu«, der andere Pol mit: »Ich stimme gar nicht zu«. Die Teilnehmenden stellen sich auf dieser Skala auf und werden eingeladen, etwas dazu zu sagen, weshalb sie sich wo positioniert haben. Es geht dabei nicht um Richtig oder Falsch, sondern darum, sich den Dimensionen und Fragen anzunähern, die eigentlich in dieser Aussage stecken.

    Unterstützende Fragen durch die Anleitenden können dabei sein:

    • Was sind für euch Gründe dafür, ein Recht auf freien Internetzugang für Alle zu fordern? Was steht dem aktuell entgegen?
    • Was wäre anders, hätten alle Menschen auf der Welt einen freien Zugang zum Internet?
    • Was bedeutet eigentlich »freier« Internetzugang für euch? (Kostenfrei? Alles zugänglich?)
    • Kann es überhaupt ein einforderbares Recht auf freie Internetnutzung geben?
    • Wie würde ein solches Recht umgesetzt? Wer wäre dafür zuständig oder könnte das garantieren?

    2. (20 Minuten) Zitatearbeit zum konkreten Beispiel von Facebooks »Free Basics«-App

    Die Anleitenden leiten über, dass heute ein Zugang zum Internet oft Grundvoraussetzung dafür ist, überhaupt am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und ganz entscheidend z. B. für das Recht auf freie Meinungsäußerung oder freien Informationszugang. Gleichzeitig waren im Jahr 2020 etwa 40% der Gesamtbevölkerung nicht an das Internet angeschlossen, das betrifft vor allem den afrikanischen Kontinent und Südostasien. Geschlechter sind davon auch unterschiedlich betroffen: Frauen* und weiblich gelesene Personen haben öfter keinen Zugang zum Internet. Große Tech-Konzerne machen in dieser Situation und in diesen Regionen Angebote für kostenfreies Internet. »Zero rating« wird das genannt, was soviel heißt wie »keine Kosten«. Facebook bietet seit 2015 die kostenlose App »Free Basics« an, die einen kostenlosen Zugang zum Internet ermöglicht – allerdings nur zu einigen von Facebook ausgewählten Anwendungen und Websites. Heute wird die App in über 60 Ländern genutzt vor allem in Asien, Afrika und Lateinamerika. Facebook ist heute eine der wichtigsten Plattformen für soziale Medien weltweit mit über 2,9 Milliarden aktiven Nutzer * innen im Monat. Diese Angebote sind umstritten. Es gibt Perspektiven, die solche Angebote sinnvoll finden, um Internetzugang überhaupt zu ermöglichen, andere halten sie für nicht legitim, weil damit globale Machtverhältnisse wiederholt und verstärkt werden (vgl. Infoblatt).

    Die Teilnehmenden bilden nach der Einleitung Kleingruppen à vier Personen. Die Gruppen erhalten verdeckt vier der Zitate aus dem Material (je das »Pro«-Zitat und drei der »Kritik«-Zitate). Jede*r zieht sich eines der vier Zitate, liest es sich durch und macht sich zu folgenden Fragen Gedanken:

    • Wer spricht da? Was wird in dem Zitat gesagt?
    • Wie stehen die Sprecher * innen zu Free Basics als kostenfreiem, aber eingeschränktem Angebot für Internetzugang?
      Dann lesen die Teilnehmenden nacheinander ihre Zitate laut vor – erst das Zitat von Facebook-Seite, dann die kritischen Zitate – und erklären es kurz anhand der zwei oben genannten Fragen.
      Wenn alle Zitate gehört wurden, legen die Teilnehmenden die Zitate für alle sichtbar in die Mitte, so dass ggf. nochmals nachgelesen werden kann.

    In den Kleingruppen können sich die Teilnehmenden jetzt noch zu folgenden Fragen austauschen:

    • Was sagen die Sprecher * innen dazu, mit welchen Zielen solche Angebote für kostenfreies, aber eingeschränktes Internet gemacht werden?
    • Wie unterscheiden sich die Perspektiven ­Facebooks und der Kritiker*innen? Was sind wichtige Kritikpunkte?

    3. (20 Minuten) Zusammentragen und Reflexion in der Großgruppe

    Im Plenum können jetzt die wichtigsten Argumente von beiden Seiten zusammengetragen und optional auf zwei Flipcharts (1. Flipchart: »Was sagt Facebook?«, 2. Flipchart: »Was sagen Kritiker*innen?«) visualisiert werden. Ggf. können die Anleitenden hier anhand des Infoblatts noch Argumente klären oder ergänzen.
    Diese Gegenüberstellung wird dann über ein Gespräch im Plenum reflektiert und die Verbindung zu globalen Machtverhältnissen hergestellt.

    Dafür können folgende Leitfragen in der Gruppe besprochen werden:

    • Welche Gedanken oder Gefühle kommen bei euch auf, wenn ihr die Zitate hört und diese Gegenüberstellung seht?
    • Unter dem Schlagwort »digitaler Kolonialismus« wird aktuell darüber diskutiert, wie sich durch den Einsatz und die globale Verbreitung digitaler Technik Strukturen und Verhältnisse widerspiegeln und verfestigen, die seit über 500 Jahren durch den Kolonialismus aufgebaut wurden. Dabei spielen unter anderem diese Aspekte eine Rolle:
      • Es gibt dominante, bestimmende Akteure aus dem Globalen Norden.
      • Sie bestimmen die Regeln.
      • Sie halten das Eigentum an digitaler Infrastruktur (Server, Kabel, Software etc.) und kontrollieren das Wissen, die Inhalte und die Rechenmittel.
      • Zu ihnen fließt der allergrößte Teil des wirtschaftlichen Gewinns.
      • Dieses Verhältnis wird für »normal« oder gerechtfertigt gehalten und Widerstände oder Alternativen sind kaum möglich.
    • Wo findet ihr diese Aspekte in den Zitaten wieder?
    • Welche Rolle spielt darin die Orientierung westlicher Tech-Konzerne an Gewinnmaximier­ung bzw. ein Wirtschaftssystem, in dem Unter­nehmen dazu angeregt sind?
    • Habt ihr Ideen, wie es auch anders möglich wäre? Was wäre dafür nötig?

    Bei Bedarf können Aspekte aus dem Gespräch am Ende noch zusammengefasst und / oder schriftlich festgehalten werden.

    Tipps und Hinweise für Anleitende

    Die Begriffe Globaler Norden und Globaler Süden sollten vorab eingeführt werden. Für eine ausführlichere Erklärung siehe Literatur (Glokal e. V.). Für eine kurze Erklärung: Globaler Norden bezeichnet Regionen und Gruppen, die früher wie heute gesellschaftlich, politisch und ökonomisch von Kolonialismus und Ausbeutung profitieren (z. B. Europa, Nordamerika) und Globaler Süden solche, die früher wie heute davon benachteiligt werden (z. B. große Teile Afrikas, Teile Asiens) Wir empfehlen, sich vorab mit der Gruppe zumindest grundlegend damit zu beschäftigen, was Kolonialismus ist und bedeutet. Wir verwenden hier den Begriff »digitaler Kolonialismus«, da er vor allem von Menschen / Aktivist*innen aus dem Globalen Süden so benutzt und geprägt wird. Post-koloniale Verhältnisse drücken sich heute anders aus als zu Zeiten formeller kolonialer Herrschaft, bestehen aber fort. Kolonialismus ist grundsätzlich ein Wissens-, Herrschafts- und Gewaltverhältnis. In dem Beispiel hier tritt der Gewalt-Aspekt weniger in den Vordergrund. Wenn wir weiter mit einbeziehen, wer für wen z. B. die Rohstoffe für digitale Geräte abbaut, kommt dieser durchaus stärker zum Tragen. Dass mit immer mehr Internetnutzung auch die ökologischen Auswirkungen (durch Produktion, Nutzung und Entsorgung von Geräten und digitalen Dienstleistungen) steigen, ist die andere Seite der Medaille der Forderung nach Internetzugang für alle. Gleichzeitig sind globale Verhältnisse so gelagert, dass im Globalen Norden wesentlich mehr zu Klima- und Umweltschäden beigetragen wurde und wird und die ökologischen Kosten privater Internetnutzung wesentlich geringer sind als beispielsweise die Kosten von digitalisierter Produktion, von Smart Cities etc. im großen Stil. Die bestehenden ökologischen Herausforderungen im Kontext von Digitalisierung dürfen nicht auf Kosten einer selbstbestimmten Gestaltung von Digitalisierung im Globalen Süden verhandelt werden. Die Methode arbeitet am konkreten Beispiel der App »Free Basics« von Facebook. Andere große Firmen haben ähnliche Angebote.

    Möglichkeiten zur Weiterarbeit

    Mit der Methode »Eine andere Welt im Bau – Porträts von Gegenbewegungen und Alternativen im digitalisierten Kapitalismus«, können im Anschluss Initiativen kennen gelernt werden, die sich weltweit gegen Machtkonzentration im digitalisierten Kapitalismus einsetzen. Die Methode »Die Zukunft digitaler Technik« greift Zukunftsvorstellungen für eine global gerechte und sozial-ökologische Gestaltung von Digitalisierung auf.

    LITERATUR

    • Kwet, M. (2021): Digitaler Kolonialismus. Ohne Gegenbewegung wird die Dominanz von Big Tech zur Gefahr für den Globalen Süden. In: analyse und kritik 672, 15. Juni 2021. Zu finden auf akweb.de
    • Lange, S. / Santarius, T. (2018): Smarte Grüne Welt? Digitalisierung zwischen Überwachung, Konsum und Nachhaltigkeit. München.
    • Glokal e.V. (2013): Kolonialismus gestern und heute.In: (dies.) (Hrsg.): Mit Kolonialen Grüßen … Berichte und Erzählungen von Auslandsaufenthalten rassismuskritisch betrachtet. Berlin, S. 8. Zu finden auf glokal.org