Bildungsmaterialien für eine sozial-ökologische Transformation
  • Gutes Leben?

    Die Geschichte des Tigers

    Stress und Widerstandsfähigkeit

    30 min
    2-25

    Die Geschichte des Tigers

    Die TN durchleben eine Geschichte und reflektieren Belastung im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation.

  • Die Geschichte des Tigers

    Format: Spiel

    Barrieren: Hören

    Material: keine/ Moderationskarten und Stift

    Zugänglichkeit: niedrigschwellig


    Die durchlebte Geschichte ermöglicht es den Teilnehmenden (TN), sich den Themen Stress, Belastung und Resilienz (Widerstandsfähigkeit) im Kontext eines sozial-ökologischen Wandels zuzuwenden

    Lernziele

    Die TN…

    – bekommen einen spielerischen, stark vereinfachten Einblick in die Funktionsweise des Stresszyklus im menschlichen Nervensystem.
    – können die Geschichte auf Situationen im eigenen Leben und Handeln übertragen.
    – erkennen die Wichtigkeit von Selbstfürsorge sowie kollektiver Fürsorge im Kontext eines sozial-ökologischen Wandels hin zu globaler Gerechtigkeit.

    Ablauf

    Hintergrund

    Die Geschichte ist angelehnt an ein Kapitel aus dem Buch „Stress“ von Emily und Amelia Nagoski (2019, München: Kösel-Verlag, S. 24-40) und ein bekanntes Beispiel wenn es um Stress und das Nervensystem geht. Diese Quelle ist eine von vielen und nimmt eine bestimmte Perspektive ein, die ja nach Quelle auch unterschiedlich sein kann. In Workshops im Rahmen von Nachhaltigem Aktivismus lässt sich die Geschichte als Einleitung in die Themen Stress, Burnout und Resilienz verwenden.
    Diese Themen können auf der Ebene der individuellen Selbstfürsorge und Resilienz verhandelt werden oder auf der kollektiven Ebene. Dabei geht es um die Fragen, was Individuen und Gruppen brauchen, um langfristig und nachhaltig (miteinander) aktiv sein zu können und wie eine fürsorgende Gruppenkultur entstehen kann.

    Vorbereitung

    Die anleitende Person setzt sich mit der Geschichte auseinander und kann sie möglichst frei erzählen.

    Durchführung

    1. Einleitung (5 Minuten)

    Die TN sitzen im Halbkreis, die anleitende Person steht ihnen gegenüber. Je nachdem, wie viele Anleitende es gibt, kann der*die Erzähler*in zum Erzählen am Rand der TN sitzen, stehen oder die Hauptfigur gleichzeitig spielen und erzählen. Einleitende Worte können sein:
    „Um einen Einblick in unsere körperlichen Reaktionen auf Stress zu bekommen und zu merken, wie wichtig eine Gruppe für Erholung sein kann, macht es euch bequem und schaut unserem kurzen Schauspiel/hört der kurzen Erzählung zu.

    2. Die Geschichte (5 Minuten)

    Zur Einbettung ist es sinnvoll noch einleitende Worte zu teilen:

    „Das Nervensystem und sein Umgang mit Stress hat sich evolutionär langsamer verändert als unsere Umwelt. Die Geschichte ist ein Beispiel dafür, auf welche Arten von Stress Menschen schon lange vor sexistischen Chefs, Klimakrise und kapitalistischer Verwertungslogik reagieren mussten. Die Geschichte beschreibt das Modell eines Stresszyklus-Ablaufs. Dieser Ablauf ist nicht nur für Menschen, sondern auch für viele andere Lebewesen so stimmig.“

    Die Geschichte: (angelehnt an Nagoski/Nagoski 2019: Stress. München: Kösel-Verlag, S. 24-48)

    „Du schlenderst aus deinem Dorf hinaus aufs freie Feld, um dir von deiner Arbeit eine Pause zu gönnen. Nach einer Weile fühlst du dich beobachtet und blickst dich um. Du siehst, wie sich ein Tiger an dich herangepirscht hat und bereit zum Sprung auf dich ist. Was für ein Schreck, es geht um dein Leben! Dein Herz fängt an schnell zu pochen, du fängst an schneller zu atmen und dein Blutdruck steigt. Du musst fliehen! Du bist hellwach und konzentriert, alle deine Sinne sind geschärft. Deine Muskeln sind angespannt, dein ganzer Körper steht unter Strom, während andere Körperfunktionen in den Hintergrund geraten: Deine Verdauung wird langsamer, deine Immunfunktion verändert sich. Jetzt geht es los. Du fängst an zu rennen so schnell wie du kannst. Du hörst den Tiger hinter dir und läufst und rufst um Hilfe und – du hast es zurück ins Dorf geschafft, deine Gemeinschaft hat rechtzeitig das Tor hinter dir geschlossen. Du bist gerettet, lebendig, so froh und dankbar. Ihr feiert gemeinsam ein Fest, liegt euch in den Armen und freut euch über die schöne Gemeinschaft, die ihr habt. Du atmest lösend ein und aus. Du bist jetzt sicher.“

    3. Jubeln (1 Minute)

    Die erzählende Person lädt die TN ein, zu jubeln und zu klatschen, um gemeinsam zu feiern, dass die Person dem Tiger entkommen ist.

    4. Rückblick auf die Geschichte (5 Minuten)

    Die TN werden gefragt, was sie beobachtet haben.

    Dann wiederholt die anleitende Person mündlich, was in der Geschichte passiert ist und setzt das Gesehene/Gehörte in Verbindung zum Stressreaktionszyklus:

    „Was die Person erlebt hat, war ein abgeschlossener Stressreaktionszyklus. Das heißt, Stress baut sich auf, die Person reagiert physisch und psychisch darauf, flieht und findet in der Gemeinschaft nach dem gelungenen Entkommen einen Ort der Erholung und des Feierns. Damit ist der Zyklus abgeschlossen.

    Stress ist jedoch etwas, was uns im Alltag viel begegnet, und besonders chronischer Stress, also Belastungen, die uns tagtäglich begleiten, finden oft nicht so leicht ein Ende wie in der Geschichte. Dabei ist es wichtig, unterschiedliche Betroffenheiten von Unterdrückungssystemen wie Patriarchat, Kapitalismus, Ableismus etc. mitzudenken. Denn Stress und Belastungen fangen bei Menschen an sehr unterschiedlichen Punkten an und auch Regeneration ist sehr unterschiedlich (leicht oder schwer) möglich. Es gibt aber Beispiele für bewährte Methoden, den Zyklus zu beenden oder chronischen Stress Stück für Stück abzubauen.

    Beispiele dafür sind: Atemübungen, positive soziale Interaktion, Lachen, Zuneigung, Weinen, kreativer Ausdruck,…

    5. Reflexion in Kleingruppen (20 Minuten)

    Die TN gehen in Kleingruppen von 2-4 Personen. Zum Austausch werden ihnen folgende Fragen mitgegeben:

    • Was ist für dich persönlich hilfreich im Umgang mit Stress?
    • Was braucht es von einer Gruppe, was kann eine Gruppe uns geben, wenn eine oder mehrere Personen im Stress feststecken?

    Hier ist es wichtig, die TN zu ermutigen, nur das von sich zu teilen was sie wollen und gut auf sich selber zu achten, wie tief sie sich in stressige Situationen hineindenken wollen.

    6. Auswertung – Strategien der Stressbewältigung (10 Minuten)

    Die anleitende Person lädt die TN dazu ein, ihre eigenen Strategien und Ansätze zur Stressbewältigung mit der Gruppe zu teilen. Dies sollte freiwillig sein und keine*r sich gedrängt fühlen. So lernen TN unterschiedliche Zugänge voneinander.

    Varianten

    Wenn es mehr als 2 Anleitende gibt, lohnt es sich, die Geschichte spielerisch darzustellen.
    Dabei kann es eine Erzählperson, einen Tiger und einen Mensch aus der Geschichte geben. Die Figuren aus der Geschichte ahmen die Erzählung schauspielerisch nach.
    Die Teilnehmenden können in dieser Variante aktiver mit eingebunden werden (als „die Gemeinschaft“) und machen damit eine Erfahrung der Verbundenheit.

    Die Methode eignet sich auch in gekürzter Form (Durchführung nur 1. und 2.). Dann kann in unterschiedliche Richtungen weitergearbeitet werden (z.B. tiefer in das Thema Überlastung oder in das Thema kollektive Selbstfürsorge und Resilienz).

    Tipps und Hinweise für Anleitende

    Es ist wichtig, im Vorhinein zu überlegen, welches Thema nach der Geschichte weiter bearbeitet wird, um die Intensität, mit der über (chronischen) Stress gesprochen wird, zu rahmen und die Methode dahingehend anzupassen.

    Content Note: Beim Arbeiten in Kleingruppen zu Stress und persönlichem Umgang damit ist es wichtig, darauf zu verweisen, dass TN gut auf sich selber achten, wie tief sie in stressige Situationen hinreingehen wollen.

    Quellen

    • Nagoski, E. /Nagoski A. (2019): Stress, Kösel Verlag München (S. 24-48).