Bildungsmaterialien für eine sozial-ökologische Transformation
  • Ökologie

    Beziehungskrise?!

    Eine Erfahrungsübung zu Mensch-Natur-Beziehungen

    90 min
    8-25

    Beziehungskrise?!

    Die Teilnehmenden erleben und reflektieren unterschiedliche Möglichkeiten, mit Natur in Beziehung zu sein.

  • Beziehungskrise?!

    Format: Bewegung, Diskussion, Gruppenarbeit

    Barrieren: Bewegung, Hören

    Material: Sitzunterlagen zum Draußensitzen, angemessene Kleidung entsprechend der Jahreszeit, Flipchartpapier, Stifte, Arbeitsmaterial zum Download

    Zugänglichkeit: Die Methode kann durchgeführt werden, wenn ein Wald (notfalls auch Park) in der Nähe und leicht zu erreichen ist. Falls das nicht der Fall ist, kann eine Variante der Methode durchgeführt werden (siehe Varianten).

    Lernziele

    Die Teilnehmenden (TN) …

    • lernen über verschiedene Gesellschaft-Natur-Beziehungen und deren globale Geschichte und soziale und ökologische Auswirkungen.
    • reflektieren ihr eigenes Verständnis von und ihre Beziehung zu Natur.
    • diskutieren, wie veränderte (Natur-)Beziehungen zu einer global nachhaltigen und gerechten Gesellschaft beitragen können.

    Vorbereitung

    Die anleitende Person liest die Hintergrundtexte und macht sich mit dem Thema vertraut. Der erste Text beinhaltet eine kritische Perspektive auf moderne Naturbeziehungen, auf die Trennung zwischen Mensch und „Natur“ sowie auf die Auswirkungen davon. Der zweite Text gibt Hintergrundinformationen zur Übung „Sitzplatz“, die aus der Wildnispädagogik kommt.

    Durchführung

    1. Einstieg in das Thema (10 Minuten)

    Dieser Teil dient der Heranführung der TN an das Thema. Sie werden dafür sensibilisiert, dass der Blick auf und das Verständnis von „Natur“ immer gesellschaftlich geprägt ist.

    Die TN gehen zu zweit zusammen. Die anleitende Person erklärt den Ablauf der Übung. Die anleitende Person liest folgende Satzanfänge vor, welche die TN vervollständigen sollen:

    • Natur bedeutet für mich …
    • Natur begegnet mir in meinem Alltag in …
    • Eine Erinnerung, in der ich mich mit Natur verbunden/als ein Teil von Natur gefühlt habe, ist …

    Die TN sollen dabei nicht zu viel nachdenken, sondern möglichst das sagen, was ihnen in dem Moment in den Sinn kommt. Pro Satzanfang haben sie eine Minute Zeit zu sprechen. Die jeweiligen Teams sprechen sich kurz ab, wer zuerst die Sätze vervollständigt und wer zuerst zuhört. Nach dem gesamten Durchlauf der Satzanfänge wird gewechselt. Die anleitende Person liest die Satzanfänge nochmal vor und lässt eine Minute Zeit zum Vervollständigen. Die Person, die vorher gesprochen hat, hört jetzt zu und die andere Person spricht und vervollständigt die Sätze.

    2. Assoziationen Natur (10 Minuten)

    Danach kommen alle in der Großgruppe zusammen. Die anleitende Person schreibt auf ein Flipchartpapier „Was ist Natur?“. Gemeinsam werden Gedanken und Assoziationen der TN zu „Natur“ gesammelt und von der anleitenden Person auf dem Flipchart festgehalten. Die TN können dabei Bezug auf ihre Gespräche zu zweit nehmen. Sie können aber auch weitere Gedanken teilen. Einzelne Aussagen werden an dieser Stelle nicht von der anleitenden Person oder von den anderen TN bewertet.

    Wenn alle Assoziationen aufgeschrieben wurden, können die TN teilen, was ihnen auffällt, was sie interessant finden oder was sie gerade beschäftigt. Wenn nicht bereits von den TN gesagt, kann die anleitende Person noch einmal darauf hinweisen, dass der Blick auf und das Verständnis von „Natur“ gesellschaftlich geprägt ist, variieren kann und veränderbar ist.

    3. Aufstellung zu Naturbeziehungen (15 Minuten)

    Die anleitende Person schreibt zwei unterschiedliche Aussagen zu Naturbeziehungen auf jeweils ein DIN-A4-Blatt oder größer:

    1. Wir sind getrennt von der Natur und getrennt voneinander. Die Natur ist etwas, das wir erobern, kontrollieren, besiegen und zu unserem eigenen Wohlbefinden und Schutz ausbeuten können und müssen.
    2. Wir sind eng miteinander und mit allem Leben verbunden. Wenn der Ozean stirbt, sterben wir. Wenn die Natur stirbt, sterben auch wir. Um uns selbst zu lieben, müssen wir die Natur lieben. Um uns selbst zu schützen, müssen wir die Natur schützen.

    Alternativ können die Aussagen auch schon vorher auf Papier ausgedruckt werden. Die zwei Aussagen werden nacheinander laut vorgelesen. Die TN werden dazu eingeladen, kurz innezuhalten und wahrzunehmen, wie diese beiden Aussagen bei ihnen ankommen. Gibt es bestimmte Körperwahrnehmungen, Gefühle oder Gedanken, die beim Hören der Aussagen aufkommen?

    Anschließend werden die beiden Aussagen an gegenüberliegende Enden des Raumes gelegt. Dazwischen wird eine imaginäre Linie durch den Raum gezogen, die das breite Spektrum zwischen den beiden Aussagen abbildet. Die TN nehmen, je nach persönlicher Einschätzung, zu welcher der beiden Aussagen es sie (eher) hinzieht, ihre Position auf der Linie ein. Die Linie ist dabei als stufenloses Barometer zu verstehen: Es stehen also nicht nur die beiden Aussagen, sondern auch jede denkbare Position dazwischen zur Auswahl. Während der Übung sollten die TN nicht miteinander sprechen, sondern versuchen, bei sich zu bleiben und sich auf die eigene Position zu konzentrieren. Sobald sich alle hingestellt haben, können sich die TN kurz mit ihren Nachbar*innen darüber austauschen, warum sie stehen, wo sie stehen. Danach können einzelne Stimmen (am besten aus verschiedenen Bereichen der Linie) von allen gehört werden.

    Die anleitende Person erklärt, dass die Aussagen zwei unterschiedliche Verständnisse von Naturbeziehungen darstellen, und erzählt ein bisschen mehr zu deren Hintergründen (siehe Hintergrundtext).

    4. Erfahrungsübung „Sitzplatz“ (40 Minuten)

    Für kürzere Alternativen (ab 15 Minuten) siehe Varianten.

    Zunächst wird den TN erklärt, wie die Übung abläuft und worauf sie dabei achten können (siehe Arbeitsmaterial). Der Weg zum Sitzplatz wird bereits schweigend zurückgelegt.

    Die anleitende Person fordert die TN auf, sich von einem gemeinsamen Ausgangspunkt im Wald/Park zu verteilen und sich einen eigenen Sitzplatz auszuwählen. Es ist wichtig, die TN darüber zu informieren, wie und auf welches Zeichen hin sich alle wieder am Ausgangspunkt einfinden. Vereinbart dafür einen Ruf für das Ende der Übung, den alle in die vier Himmelsrichtungen wiederholen, sobald sie ihn hören. Den Rückweg zum Seminarort gehen die TN zu zweit und tauschen sich über ihre Erfahrungen während der Übung aus. Folgende Fragen können dabei unterstützen:

    • Wie ging es dir während der Übung?
    • Gibt es eine Wahrnehmung aus der Übung, die du teilen möchtest?
    • Was nimmst du aus dieser Übung mit?

    5. Auswertung (15 Minuten)

    Zurück am Seminarort kommen alle in der Großgruppe zusammen. Die TN werden eingeladen, ihre Erfahrungen aus der Übung zu teilen. Das kann im Popcorn-Prinzip erfolgen. Diejenigen TN, die möchten, teilen einen Aspekt ihrer Erfahrungen mit der Gruppe. Die anleitende Person kann das Gespräch mit Fragen leiten. Hier eine Auswahl an möglichen Fragen, an denen sich die anleitende Person orientieren kann:

    • Wie ging es euch während der Übung? Was möchtet ihr mit der Gruppe teilen?
    • Wenn ihr an die Aufstellung zu den Aussagen zurückdenkt, wie blickt ihr jetzt nach der Übung darauf? Hat sich etwas verändert?
    • Inwiefern hat euch die Methode geholfen, den eigenen Blick auf „Natur“ besser zu verstehen?
    • Inwiefern soll sich die menschliche Beziehung zur Natur verändern, damit die Gesellschaft global gerechter und nachhaltiger wird?
    • Was können wir zu einer Veränderung der Naturbeziehung beitragen? Wie können wir uns dafür einsetzen?

    Varianten

    a) Biografiearbeit zur eigenen Naturbeziehung (25 Minuten)

    Durchführung nach 1. statt 2. Das Thema Naturbeziehung kann nach den Einstiegsfragen zu zweit mit einer Biografiearbeit noch stärker eingebettet werden. In der Biografiearbeit reflektieren die TN, wie ihr Leben durch Beziehungen zur „Natur“ bestimmt war oder ist. Sie zeichnen Körperumrisse (Silhouetten) und befüllen diese mit Worten oder Bildern, indem sie sich mit einer Auswahl der folgenden Fragen beschäftigen: „Welches Verständnis von Natur wurde dir als Kind vermittelt? Hast du konkrete Erinnerungen daran? Wie hast du dich als Kind draußen gefühlt? Mit wem warst du draußen unterwegs? Welches Verständnis von Natur wurde dir in der Schule vermittelt?“ In Kleingruppen à 3-4 Personen stellen sich die TN gegenseitig ihre Silhouetten vor. Danach geht es weiter mit 3.

    b) Varianten zur Sitzplatzübung

    Falls wenig Zeit oder kein geeigneter Ort für die Sitzplatzübung vorhanden ist, können folgende alternative Wahrnehmungsübungen durchgeführt werden:

    1. Gehmeditation (siehe Arbeitsmaterial zum Download) (15-30 Minuten)

    2. Achtsamkeitsübung (siehe Methode „Mehr Sein als Haben“) (20-30 Minuten)

    3. Meditation (siehe Methode „Ich fühl’s (nicht)“ – Arbeitsmaterial zum Download) (10-15 Minuten)

    Tipps und Hinweise für Anleitende

    Es ist wichtig, die TN für den Inhalt zu sensibilisieren. Bei Naturbeherrschung handelt es sich um eine gewaltsame Erzählung, die starke negative Auswirkung für viele Menschen hatte und immer noch hat – insbesondere für diejenigen, die direkt von Kolonialismus betroffen sind. Die anleitende Person sollte in dieser Methode darauf achten, dass alle Erfahrungen der TN geteilt werden können und dabei nicht als falsch, richtig, gut oder schlecht bewertet werden. Dafür braucht es einen vertrauensvollen und möglichst sicheren Raum, der sensibel für Diskriminierung und Vorurteile ist.

    Es ist nicht Ziel der Sitzplatzübung, dass lediglich Trennung oder Verbundenheit zwischen Menschen und „Natur“ erfahren werden. Vielmehr sind alle Gedanken, Gefühle und Fragen, die auf dem Sitzplatz entstehen, legitim.

    Quellen und Weiterführendes

    • Andreotti, V. et al. (2020): Gesturing Towards Decolonial Futures: Reflections on Our Learnings Thus Far. Nordic Journal of Comparative and International Education, 4(1), 43-65.
    • Braidotti, R. (2014): Posthumanismus. Leben jenseits des Menschen. Frankfurt am Main, Campus.
    • Br Pháp Hữu & Confino, J. (n.d.): The Way Out is In. Plum Village Podcast. https://plumvillage.org/podcasts/the-way-out-is-in
    • brown, a. m. (2017): Emergent Strategy. Shaping Change, Changing Worlds. AK Press.
    • Machado de Oliveira, V. (2021): Hospicing Modernity: Facing Humanity’s Wrongs and the Implications for Social Activism. Berkeley, North Atlantic Books.
    • Descola, P. (2011): Jenseits von Kultur und Natur. Frankfurt am Main, Suhrkamp.
    • Görg, C. (1999): Gesellschaftliche Naturverhältnisse (Einstiege; Bd. 7). Westfälisches Dampfboot.
    • Hemphill, P. (2024): What it Takes to Heal? How Transforming Ourselves Can Change the World. Random House.
    • I.L.A. Kollektiv (2019): Das Gute Leben für alle. Wege in die solidarische Lebensweise. Oekom Verlag.
    • Kimmerer, R. W. (2024): Geflochtenes Süßgras. Die Weisheit der Pflanzen. Aufbau-Verlag.
    • Stories for Life (2023): https://stories.life/
    • ulex project (n.d.): https://ulexproject.org/